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Das Mondlicht

13. Februar 2007

Der Mond leuchtete sehr hell. Seltsam, dass man sich nie so recht an die Welt bei Nacht gewöhnen kann. Ich habe Mondlicht erlebt, so hell, dass es richtige Schatten warf. Und der Wind ist immer derselbe Wind, ob bei Tag oder Nacht, immer raschelt er im selben Laub. Als kleiner Junge stand ich stes vor der Morgendämmerung auf und holte Wasser und Feuerholz. Das Leben damals war ganz anders. Ich erinnere mich, ich ging hinaus in die Dunkelheit, und sie kam mir wie ein großes, kühles Meer vor, in dem die Häuser und Schuppen und die Bäume trieben, die sich soeben von ihrer Vertäuung gelöst und abgestoßen hatten. Ich fühlte mich wie ein Eindringling, das ist noch immer so, als hätte die Dunkelheit auf alles Anspruch – einen Anspruch, den ich verletzte, wenn ich vor die Tür trat. Die ins Mondlicht getauchte Welt erschien mir heute Morgen als eine Bekanntschaft, die sich seit urdenklichen Zeiten kenne und mit der ich schon immer hatte Freundschaft schließen wollen. Wenn es dazu jemals eine Gelegenheit gegeben haben sollte, dann habe ich sie verpasst. Seltsam zu sagen, aber dieses Gefühl habe ich auch mir selbst gegenüber.

aus Gilead (Marilynne Robinson)

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